Textarchiv der Berliner Zeitung

 

Datum:15.11.2001 

Ressort: Feuilleton 

Autor: Christian Esch 

Seite: 18

Die Spuren des Hahnenkampfes

Clifford Geertz portioniert sein Leben, seine Wissenschaft

 

Clifford Geertz hat - weil er erstens der Liebling der Kulturwissenschaften und zweitens nun schon 75 Jahre alt ist - schon mehrfach seinen wissenschaftlichen Werdegang dargelegt: Zuerst in "After the fact" (1995, auf Deutsch erschienen als "Spurenlesen"), in dem der amerikanische Ethnologe vier Jahrzehnte der Feldforschung in Marokko und Indonesien beschreibt; dann in seinem soeben erschienenen Buch "Available light" (Princeton University Press).

 

Beide Male hieþ Autobiografie zugleich Wissenschaftsgeschichte; schlieþlich hat Geertz, vor allem mit seiner Untersuchung zum balinesischen Hahnenkampf, eine hermeneutische Welle ausgel–st. Er trat f¸r eine Kulturwissenschaft ein, die nicht nach Regeln, sondern nach Bedeutungen sucht.

 

Nun hat Geertz ein drittes Mal auf seine erstaunliche akademische Karriere zur¸ckgeblickt, und dieses Mal soll es, wie er versicherte, das letzte Mal sein. Geertz sprach am Dienstagabend im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek, im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Blickwechsel" von Deutscher Forschungsgemeinschaft und Einstein-Forum. Wenn Ethnologie mit Verstehen zu tun hat (und Clifford Geertz geh–rt zu jenen, die diese Ansicht vertreten), dann war sein Vortrag zuallererst eine Erinnerung daran, wie schwer Verstehen f”llt.

 

"Thmilartofethnolgcalmthodne-thnolgcalthry" und Ÿhnliches nuschelte Geertz in atemberaubendem Tempo ins Mikrofon und stieþ damit seine H–rer in jene Gef¸hlslage von Faszination und Frustration, die der Ethnologe von der Feldforschung kennt.

 

In vier Schritten hastete Geertz durch die Nachkriegszeit: Boom- und Aufbruchsphase 1945-1960; "turbulente" Sechziger; dann, nach der Mitte der Siebziger, die Vermehrung von methodologischen "Wenden", Selbstreflexion und Selbstzweifeln der Anthropologen. Phase vier, von 1989 bis heute, sei gepr”gt von den gegenl”ufigen Erscheinungen von Globalisierung auf der einen, wachsender provinzieller Beschr”nktheit und ethnischer Gewalt auf der anderen Seite.

 

Wie die Diskussion zeigte, ist allerdings die Wissenschaft noch nicht vollst”ndig Geertz in seine vierte Phase gefolgt. W”hrend dieser Studien ¸ber neue Themen einforderte, n”mlich die Frage nach gemeinsamen Identit”ten in multiethnischen Staaten wie Nigeria, Indonesien und Indien - "Nationsbildung in Afghanistan - was zum Teufel kann das heiþen?" -, lamentierten seine Gespr”chspartner noch ¸ber die Sch”den von Phase drei. Der Ethnologe Karl-Heinz Kohl (Frankfurt am Main/New York) und der Kulturwissenschaftler Werner Schiffauer (Frankfurt/Oder) beklagten, durch ausgiebige methodologische Debatten habe sich die Ethnologie in eine Sackgasse man–vriert. Die viele Selbstreflexion habe das klassische Genre der Monografie zerst–rt.

 

Aber vielleicht ist ja, so fragt sich der H–rer, mit der "Neuen Weltordnung" eine R¸ckkehr zur politisch nutzbaren Ethnologie der Nachkriegsjahre m–glich; nun braucht der Westen schleunigst Experten f¸r paschtunisches Stammesrecht - zur eigenen Sicherheit.

 

"Nationsbildung in Afghanistan - was zum Teufel kann das heiþen?" (Clifford Geertz)

 


 

online source: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2001/1115/feuilleton/0060/

 


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